Interview mit Beppe Grillo
Wie ich gerade in der taz gelesen habe, verlässt sich die von Beppe Grillo gegründete MoVimento cinque Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung), die die Politik in Italien aufgerollt hat, zur Meinungsbildung auf ein Wikis.
Für alle, die nicht wissen, was Wikis sind: Wikipedia zu einem Thema. Jeder kann einen Artikel anlegen und jeder andere kann ihn ändern und weiterentwickeln.
Mehr Bürgerbeteiligung durch Social Media
Nun habe ich mich gefragt — philosophischer Sonntagmorgen — ob dies der nächste Schritt ist. Und in der Sache ist meine Antwort: wäre schön, hin zu mehr Bürgerbeteiligung. Die Praxis sehe ich allerdings deutlich problematischer. Denn wie wir aus diversen Social Media-Aktivitäten wissen (z.B. dem Ändern eines Wikipedia-Artikels), beteiligen sich ganz wenige Aktive überproportional, die Mehrheit bleibt passiv. Also auch hier haben wir keine gleichberechtigte Demokratie. Diese ist wohl nur vorstellbar, wenn jeder Aktive Geld für seine demokratische Beteiligung bekommt, ähnlich der Athenischen Demokratie — der Alt-Athenischen…
Reformdruck
Aber wir haben mit den Social Media-Tools neue Möglichkeiten die demokratische Entscheidungsfindung zu verbessern. Oder doch nicht? Die Besonderheit in Italien — langjährige Regierung Berlusconis — erzeugt einen Reformdruck, der genügend Leute aktiviert und sie in’s politische Leben treibt.
Die Piratenpartei hingegen hat ein hervorragendes Tool zur Meinungsbildung, Liquid Feedback (besser zur Meinungsfindung geeignet als jedes Wiki), durch das schnell und demokratisch Entscheidungen und Meinungsfindungen stattfinden können könnten. Problem nur, dass der in Italien vorhandene Reformdruck fehlt. Und was machen Menschen mit zu viel freier Energie? Sich in Personaldebatten begeben, nicht Sach- sondern Personalpolitik.
Strukturen haben auch Vorteile
Ein weiteres Problem bei der Einführung von direkten Demokratieelementen in Parteien, also der Aufgabe von formalen Strukturen, ist, dass sich spontan Strukturen entwickeln. Geherrscht wird dann nicht über gewählte Vertreter, sondern über Gruppen. Die Gruppen, die sich am besten organisieren, herrschen. Wenn man böse denkt, könnte man dazu Seilschaften sagen. Meine Erfahrungen aus der Unipolitik und einem Jahre zurückliegenden Abstecher zu den Schöneberger Grünen sowie die Erfahrungen der Römischen Republik zeigten mir das eindrucksvoll: es regiert dann, wer am lautesten schreit und die meisten Anhänger hat. Gewisse strukturelle Instrumente garantieren also, dass die Mehrheit/die Stärkeren die Minderheit/die Schwächeren nicht unterdrücken.
Konzequenz: Zuschauen und Lernen
Als Fazit stelle ich also fest: nutzen wir die Chance und beobachten wir genau, was mit Social Media-Tools in Italien erreicht wird und übernehmen die guten Sachen, die schlechten verwerfen wir.
Cornelia
Ein anderes Beispiel der Bürgerbeteiligung durch Social Media findet gerade in Island statt. Dort wird gerade eine neue Verfassung entworfen. Über Facebook und Twitter kann die Bevölkerung an der neuen Verfassung mitschreiben, die gerade entworfen wird. Klingt doch spannend. Mal sehen, was dann bei rauskommt und wie das funktioniert.
http://wissen.dradio.de/nachrichten.59.html?drn:news_id=43225&drn:date=1307700000